Interviews
Interview zum Zweck der Nutzungskontextanalyse: Eine Methode zur Datensammlung, die einige sorgfältig ausgewählte Personen eingehend befragt, um zu einem besseren Verständnis des Nutzungskontextes zu gelangen.”
Basiswissen Usability und User Experience
Grundregeln
In Interviews (zum Zwecke der Nutzungskontextanalyse) geht es immer darum, Informationen über den Nutzungskontext innerhalb einer Benutzergruppe zu erheben.
Gesprächsteilnehmer müssen daher auch wirklich so ausgewählt werden, dass sie aus der Benutzergruppe kommen, über die Informationen zum Nutzungskontext erhoben werden sollen.
Im CPUX-F-Curriculum gibt es keine Aussage darüber, mit wievielen Benutzern einer Benutzergruppe ein Interview geführt werden soll.
Daumenregel: fünf Benutzer pro Benutzergruppe reicht meist aus und lässt sich gut gegenüber der Projektleitung kommunizieren.
Bei erheblichen neuen Erkenntnissen muss die Zahl der Interviews nochmal überdacht werden.
Durch die Befragung und Interpretation werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Benutzer eines Systems aufgedeckt.
Interview-Leitfaden
Eine schriftliche Liste geeigneter Fragen und Hinweise, die der Interviewer während eines Interviews verwendet, um sicherzustellen, dass alle relevanten Themen abgedeckt werden.
Basiswissen Usability und User Experience
Für ein Interview mit einer Person über den Nutzungskontext ist es zwingend erforderlich, dass zur Vorbereitung eine Liste von Fragen erarbeitet wird, die zur Strukturierung des Interviews verwendet wird.
Ein Interview ist ein Gespräch. In einem Gespräch kann sowohl der Interviewer als auch die interviewte Person den roten Faden verlieren.
Eine Liste von vorbereiteten Fragen bewahrt hiervor und stellt sicher, dass das Interview den relevanten Fokus behält.
Die Fragen sollten allesamt auf den erlebten Nutzungskontext der interviewten Person abzielen, um so zu wirklichen empirischen Daten zu kommen.
Es ist oft sinnvoll, die Fragen im Vorfeld mit dem gesamten Projektteam abzustimmen. Somit ist eine gemeinsame Erwartungshaltung gegeben.
Ansonsten besteht das Risiko, dass die erzielten Erkenntnisse infrage gestellt werden und beteiligte zum Beispiel behaupten, die falschen Fragen gestellt zu haben.
Ein Leitfaden keine feste Vorgabe
Ungeübte Interviewer halten sich oft zu strikt an den Leitfaden. Der Leitfaden ist keine feste Vorgabr für die Strukturierung des Interviews. Dadurch würde der natürliche Denkprozess und Redefluss des Interviews gestört werden.
Meister-Schüler-Modell
Der Interviewer behandelt den Benutzer als den Meister, während der Interviewer selbst der Schüler ist. Ziel des Meister-Schüler-Modells ist es, die Ziele und Aufgaben des Benutzers im Detail zu verstehen, indem man als Schüler vom Benutzer als Meister lernt.
Basiswissen Usability und User Experience
Die Interviewte Person ist als Kompetenzträger des Nutzungskontextes zu respektieren (Meister).
Der Interviewer nimmt die Position des Lernenden ein (Schüler).
Fragen für ein erfolgreiches Interview
Um möglichst viele Informationen zu erhalten, sollten die Fragen möglichst neutral und offen gestellt sein.
Geschlossene Fragen sind hilfreich für schnelle Auswertungen, sind aber nicht so aufschlussreich.
Suggestivfragen sollten vermieden werden. Sie lenken den Interviewten in eine Richtung.
Geschlossene Frage
Eine Interviewfrage, die eine Antwort aus einem vordefiniteren Satz von Alternativen fordert, z.B. “ja” oder “nein”.
Basiswissen Usability und User Experience
Beispiele für geschlossene Fragen, die eher zu vermeiden sind:
- Gehen Sie regelmäßig zum Arzt?
- Nutzen Sie immer das Telefon zur Vereinbarung eines Termins?
- Wie alt sind Sie?
- Waren Sie eher zufrieden oder unzufrieden mit Ihrem letzten Restaurantbesuch?
Geschlossene Fragen werden schlimmstenfalls einfach mit “ja” oder “nein” beantwortet. Sie stimulieren keine Ausführungen der befragten Person. Dadurch wird die Chance verpasst, durchaus unerwartete weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
Allerdings eignen sich geschlossene Fragen für eine schnelle Auswertung.
Offene Frage
Eine Frage in einem Interview, die keinen Hinweis auf das erwartete Format oder den erwarteten Inhalt der Antwort gibt.
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Suggestivfragen
Eine Frage in einem Interview, die eine Präferenz für bestimmte Antwortmöglichkeiten vorgibt oder versucht, die Antwort in eine bestimmte Richtung zu lenken.”
Basiswissen Usability und User Experience
Suggestivfragen wiederum können sowohl geschlossen als auch offen gestellt werden. Suggestivfragen sind im Interview grundsätzlich zu vermeiden.
Beispiele für offene Suggestivfragen, die in einem Interview zu vermeiden sind:
- Wieso nutzen Sie keine Software zur Vereinbarung von Arztterminen?
- Sie bevorzugen sicher das Telefon für die Vereinbarung von Arztterminen, warum eigentlich?
- Wahrscheinlich sind Sie meistens etwas knapp dran, wenn Sie beim Arzt ankommen, wie könnten Sie das mithilfe einer App besser hinkriegen?
Diese Suggestivfragen sind geprägt von Hypothesen der Person, die das Interview führt, und lenken die interviewte Person in Richtung der Bestätigung der Hypothesen (obgleich diese gar nicht zutreffen mögen).
Neutrale Frage
Eine Frage in einem Interview, die keine impliziten Annahmen beinhaltet und auch keinen Ansatz bietet, irgendetwas auszuschließen oder die Antwort in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Beispiele für offene neutrale Fragen, die im Interview zu bevorzugen sind:
- Welche Arzttermine hatten Sie bereits in diesem Jahr?
- Wie sind Sie vorgegangen, um einen Arzttermin zu bekommen?
- Wie entscheiden Sie, zu welchem Arzt Sie im Einzelfall gehen?
Erfolgsfaktoren für ein gutes Interview
- Auf der Ebene des Nutzungskontextes bleiben (häufiger Fehler: Wechseln auf die Ebene der Lösungsgestaltung)
- Wenn möglich an dem Ort durchführen, wo die zu betrachtenden Aufgaben erledigt werden (siehe nächsten Abschnitt 5.4.2 »Kontextuelle Interviews«)
- Die richtige Grundhaltung einnehmen (Meister-Schüler-Modell)
- »Handwerklich« gut durchführen: Stimulierende Fragen stellen (offen und neutral)
- flexibel auf den Redefluss des Interviewpartners reagieren (nicht starr am Interview-Leitfaden hängen)
Kontextuelles Interview
Ein Interview, das an dem Ort stattfindet, an dem die Benutzer normalerweise Aufgaben in Zusammenhang mit dem interaktiven System ausführen
Das Interview findet an dem Ort statt, wo die Benutzer normalerweise zugegen sind, um Aufgaben mit dem interaktiven System ausführen.
So kann auf die Ressourcen und die Umgebung Bezug genommen werden. Kontextuelle Interviews liefern mehr emprisiche Daten und mehr Details.
Sie sind allerdings schwerer durchzuführen, da zunächst die Erlaubnis des Arbeitgebers für die Durchführung des Interviews benötigt wird.
Interviews, die in einem Besprechungsraum, in einer Videokonferenz oder am Telefon geführt werden, sind nicht-kontextuelle Interviews.
Ein nicht-kontextuelles Interview ist besser als gar kein Interview.